Im Sommer 2018 wurde in Aurich das ehemalige Postgebäude aus dem Jahr 1891 abgerissen, da die Fläche neu bebaut werden sollte. Das Grundstück befindet sich nördlich des heutigen Schlossbezirks und unmittelbar vor den Toren der Auricher Altstadt. Schon in historischen Quellen, z.B. von Tileman Dothias Wiarda 1802, wurde an diesem Standort die um 1380 erbaute alte Häuptlingsburg der tom Brok vermutet, die am 10. November 1430 – so die historische Überlieferung – bis auf die Grundmauern geschleift wurde. Die im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Aurich, aufbewahrten historischen Pläne lieferten Angaben zum Haus Stürenburg (1802–1870), dem Kaiserlichen Postamt (1887–2017), dem Piquerhof und der Königlichen Torfscheune (1798–20. Jh.) sowie zur Burg der Cirksena, dem heutigen Schloss, jedoch keine zur Burg des 14. Jahrhunderts.
Nach dem Abriss des alten Auricher Postgebäudes wurden 2018 und 2019 in dem Areal in Kooperation von Stadt Aurich und Ostfriesischer Landschaft umfangreiche Ausgrabungen durchgeführt. Bereits ab einer Tiefe von etwa 1 m unter der heutigen Oberfläche konnte eine massive Schuttlage aus Backsteinbruch dokumentiert werden, darunter fanden sich die Reste von zwei nebeneinander liegenden, aus klosterformatigen Backsteinen errichteten Häusern (Abb. 1). Beide Gebäude waren im nördlichen Bereich bereits beim Bau des alten Postgebäudes zerstört worden. Das noch knapp 8 mal 8 m große westliche Gebäude I wies dagegen in der obersten Schicht bemerkenswert gut erhaltene Fußböden aus sorgfältig verlegtem Backsteinpflaster auf und ließ verschiedene Räume erkennen (Abb. 2). Unter den oberen Fußböden wurden noch ältere Vorgängerfußböden vorgefunden.
In einem Raum des älteren Gebäudes I befand sich ein Kamin, der entsprechend den Fußböden und den Wandstrukturen vier Bauphasen aufwies (Abb. 3). Das Haus I kann aufgrund der Bauphasen und der Funde in die Zeit vom Ende des 14. bis in das fortgeschrittene 15. Jahrhundert und somit in die Zeit der tom Brok datiert werden. Haus II wurde erst Mitte oder Ende des 15. Jahrhunderts erbaut.
Die Gebäude befanden sich auf dem Gelände der tom Brokschen Burg, das ehemals mit einem Wassergraben umgeben war. Der für ostfriesische Burganlagen typische Steinturm, der als Wehrgebäude und zur Machtdemonstration diente, konnte bei den Ausgrabungen nicht nachgewiesen werden. Er befand sich anscheinend nördlich oder nordöstlich der Grabungsfläche. Innerhalb der Burganlage befanden sich damit mindestens zwei aus Backstein errichtete Gebäude. Bei dem ausgegrabene Haus I handelt es sich um das ebenfalls repräsentative und zumindest teilweise aus Backsteinen errichtete Wohnhaus der Häuptlingsfamilie (Abb. 4). Die Funde von hochwertigem, importiertem Tafelgeschirr zeugen von dem vornehmen Lebensstil der Familie (Abb. 5).
Erst nach der Eroberung im Jahr 1430 und Aufgabe der Burg wirken die Ausbesserungen des weiter bzw. wieder genutzten Gebäudes leicht improvisiert. Etwa um diese Zeit scheint auch Haus II erbaut worden zu sein, das im Gegensatz zu Haus I den Charakter eines Wirtschaftsgebäudes hat. Beide Gebäude wurden bis Ende des 15. Jahrhunderts genutzt und später bis auf die Grundmauern abgetragen. Die Schriftquelle, die nach der Eroberung ein Abtragen „bis auf die Grundmauern“ nennt, bezieht sich also wohl auf das Steinhaus, nicht auf das Wohnhaus.
Weitere knapp 1,5 m unter den beiden Häusern ließen sich im Boden zudem die Reste der Vorgängerbebauung nachweisen. Am Anfang des 14. Jahrhunderts scheint sich hier mindestens ein Gebäude in dem Areal befunden zu haben, das mit zwei schmalen Wassergräben umgeben war. Vor der Anlage der tom Brokschen Burg Ende des 14. Jahrhunderts wurde der Platz zunächst mit Sandboden und einer Lehmschicht aufgehöht.
Der exponierte Platz diente somit über mehrere Jahrhunderte als Hof- und Burgplatz hochgestellter Familien. Selbst nach der Zerstörung der Burg der tom Brok im Jahr 1430, wobei wohl nur der Steinturm als Machtdemonstration zerstört wurde, nutzte anscheinend die Burgbesatzung der 1447 in der unmittelbaren Nähe erbauten Averborg der Cirksena das Wohngebäude der alten Burganlage weiter und ergänzte die Anlage um ein oder mehrere Wirtschaftsgebäude. Der Wassergraben der Burg wurde teils zugeschüttet und teils in den neuen Burggraben integriert.
Nach Aufgabe der beiden Häuser am Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Gelände erst im 16. Jahrhundert mit dicken Bodenschichten – möglicherweise Erdmassen, die beim erneuten Vertiefen der Verteidigungsgräben anfielen – aufgefüllt und danach für lange Zeit nicht mehr bebaut. Nicht zu vergessen ist auch, dass dem Areal noch lange die Besitzrechte der Oldenburger Grafen anhafteten. Auf alten Plänen ist daher der alte Burgbereich von der Bebauung ausgeschlossen und blieb bis in das 19. Jahrhundert als öffentlicher Platz mit parkähnlichem Baumbestand erhalten.
(Text: Sonja König)