2609/1:102 – Emden-Am Burggraben 8
Die Fliesenwelten aus den Niederlanden, die wie ein häusliches Comicbuch mit vielfältigen Bildergeschichten ehemals ganze Räume schmückten und auch heute noch faszinieren und viele Liebhaber und Sammler finden, sind nach wie vor nicht gänzlich erforscht. Ein ganzer Forschungszweig der Archäologie und Kunstgeschichte beschäftigt sich mit diesem Produkt aus der Hochzeit niederländischer Handelsbeziehungen. Es ist meist nur sehr schwer zu ermitteln, wie alt genau einzelne Fliesen sind, wo sie hergestellt wurden und wer sie jeweils hergestellt hat. Daher ist es umso spannender, dass dies mit dem hier vorgestellten Fund vielleicht gelungen ist.
Ein im Haus „Am Burggraben 8“ entdeckter niedriger Keller war komplett mit einem Gemisch aus Fliesen, Sand und Mörtel- bzw. Ziegelbrocken verfüllt worden, welches in Eigenarbeit der Bauherren abgetragen und gesiebt wurde. Im Fundmaterial besonders auffällig waren zunächst die mehrfarbigen Fliesen mit einem fliesenfüllenden Blumenmotiv und zweifarbigen Lilien als Eckornament oder Fliesen in kräftigem Gelb und Blau mit einer Blumenvase in einer Raute und Eckmotiven in der sog. Ausspartechnik. Sie sind bereits ein sehr schönes Beispiel für niederländische Fliesen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und auch nicht so selten in den Sammlungen vertreten. Daneben fanden sich Fragmente von Fliesen mit zahlreichen anderen Motiven, zum Teil auch die schönen mehrfarbig mit durchscheinendem Grün, Blau, Magenta und Gelb bemalten Stücke, die ebenfalls dem 17. Jahrhundert angehören. Als Beispiel ist hier ein fast vollständiges Exemplar mit einem sehr naturalistischen Vogelmotiv zu sehen, dessen Fragmente laut Aussage der Bauherren an verschiedenen Stellen im Haus gefunden worden waren.
Am 25. Juli 2020 fanden die Bauherren des Hauses „Am Burggraben 8“, das Ehepaar Meyer, beim Abtragen der Kellerverfüllung dann das besondere Fliesenfragment mit dem gut gekleideten Herrn aus längst vergangenen Zeiten. Das Fragment lag mit der Schauseite nach oben. „Als erstes faszinierte uns die blaue Farbe und der Erhaltungszustand der dargestellten Person. Nach der groben Reinigung stellten wir fest,dass die Fliese bearbeitet war. Die Maße zeigten, dass es wohl nur um die Darstellung der Person ging, da die Akkoladenumrahmung abgeschlagen wurde. Die große Überraschung zeigte sich dann auf der Rückseite, dort entdeckten wir eine Signatur.“ Dadurch bestand die Hoffnung, die genaue Herkunft der Fliese ermitteln zu können.
Auf der Vorderseite ist ein Mann abgebildet (Abb. 1a), wahrscheinlich ein Bürger oder Soldat, ausgestattet mit einem Degen, dessen Knauf, Griffbügel und Parierstange eben noch hinter der Gestalt des Mannes hervorschauen. Er trägt einen hohen Hut mit Feder, eine Art Kniebundhose mit akzentuiertem Knieband und eine große Halskrause, die in den Niederlanden recht lange getragen worden sind. Er zeigt eine etwas eigentümliche Haltung, mit einem auf einem kleinen Erdhügel aufgestellten Bein und einer in der Luft hängenden linken Hand, die weisend oder gestikulierend ist. Ziemlich sicher ließe sich zu diesem Motiv eine Stichvorlage finden, da die Haltung nicht zufällig wirkt, sondern eher aus einem größeren Kontext entnommen zu sein scheint. Es gibt bisher keine genaue Übereinstimmung, aber es lassen sich Fliesen finden, in denen vornehmlich Soldaten einen ähnlichen Gestus zeigen. Die Rückseite zeigt ein Monogramm aus ineinander geschriebenen Initialen – C i V oder i C V (Abb. 1b), es lag daher nahe herauszufinden, ob es zu dieser Signatur Parallelen gibt.
Das Ehepaar Meyer zeigte die Fliese ihrem Bekannten Horst Arians, Kunsthändler und Sachverständiger für Antiquitäten aus Remels und ausgewiesener Fliesenexperte. Er erkannte die Besonderheit der Fliese und stellte den Kontakt zu den Fliesenforschern Jan Pluis und Peter Sprangers her. Nachdem die Fliese von Peter Sprangers in Augenschein genommen wurde und Parallelen zu der Marke gefunden werden konnte, entwickelte sich die Geschichte zu einer kleinen Sensation: Wahrscheinlich hat sich unser niederländischer Herr bereits im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts aus Amsterdam in Emden eingefunden. Die Marke lässt sich laut Sprangers mit ziemlicher Sicherheit der von Jan Christiaansz (=Carstiaens) van den Abeele zuordnen. Die Ähnlichkeit zu einer Marke im Heiratsregister der Stadt ist bemerkenswert, dort ist allerdings neben dem charakteristischen i und C, die beide große Ähnlichkeit zu dem vorliegenden Stück aufweisen, auch das auf der Fliese fehlende AB erkennbar. Sein Vater, Carstiaen van den Abeele (1555(?) bis 1603) erhielt 1581 nach seiner Flucht aus Brügge die Zulassung des Amsterdamer Magistrates (vroedschap), eine Töpferei zu gründen, wo sie für 1584 belegt ist. Nach seinem Tod baute sein Sohn ein eigenes Geschäft auf.
Damit lässt sich sagen, dass die vorliegende Fliese ein sehr frühes Beispiel für den Import eines solchen Produktes in Ostfriesland ist, mit einer Datierung um 1610 und damit einer der frühesten bekannten Fliesenimporte nach Deutschland. Über Produktionszeiten und auch die Art der Produkte ist häufig nur sehr wenig bekannt, und nur herausragende Einzelfunde wie diese ermöglichen es, im Nachhinein noch die Handelswege zu rekonstruieren – ein weiteres Puzzlestück aus der Blütezeit Emdens als Handels- und Hafenstadt fügt sich ein.
(Text: Ines Reese, Marion und Manfred Meyer, Emden)