2509/7:27 - Hinte
Im Frühjahr 2019 fand ein Grundstücksbesitzer aus Hinte auf seinem Acker nahe der Gemarkungsgrenze zu Westerhusen ein vollständiges Webgewicht. Leider handelt sich vermutlich um einen verschleppten Fund, da ein Großteil der Erde auf dem Acker nach Angaben des Finders angefahren worden war; die Herkunft ist unbekannt. Aber dennoch steht das Webgewicht für einen wichtigen Teil der Ostfriesischen Geschichte.
Das komplett erhaltene Webgewicht ist mäßig hart gebrannt und zeigt einen auf der einen Seite einen gelben reduzierten Brand, auf einer Schmalseite graue Reduktion und auf der anderen flächigen Seite einen roten oxidierenden Brand. Das scheibenförmige Gewicht hat einen Durchmesser von 14,3 x 14,7 cm bei einer nahezu gleichmäßigen Stärke von 5,8 und einem verhältnismäßig kleinen zentralen Loch von 3 cm Durchmesser. Das Stück ist mit 1,2 kg relativ groß und schwer.
Seit der Jungsteinzeit gibt es tönerne Webgewichte, die zu einem Webstuhl gehört haben. Dabei handelte es sich von der Jungsteinzeit bis in die Zeit um 1200 um Gewichtswebstühle. Bei einem Gewichtswebstuhl steht der Webrahmen aufrecht und die Kettfäden werden nach unten durch angehängte Gewichte, Webgewichte, beschwert und damit gestrafft. Fertiges Tuch wird am oberen Ende auf ein Querholz, den Warenbaum, aufgewickelt, neue Kettfäden werden von unten nachgeführt. Das untere Ende der Kettfäden ist auf eine frei hängende Länge aufgewickelt und wird von den angehängten Webgewichten straff gespannt. Der Schussfaden wird manuell zwischen die Kettfäden gebracht und nach oben mit einem Webschwert angeschlagen. Webgewichte brauchte man bei den ab dem 10./11. Jahrhundert in Mitteleuropa aufkommenden und noch heute üblichen horizontalen Webstühlen dann nicht mehr. Bei den horizontalen/liegenden Webstühlen verlaufen die Kettfäden nicht mehr senkrecht, sondern waagerecht, und beide Enden der Kettfäden sind auf jeweils einem Baum, dem Kettbaum und dem Warenbaum, aufgewickelt. Die liegenden Webstühle sind Trittwebstühle, bei diesen werden die Lagen der Kettfäden mittels hölzerner Gestänge mit den Füßen zu „Fächern“ geöffnet und die Hände sind so frei zum Einlegen des Schusses. Zudem können die Fächer mit einem einzigen Tritt geöffnet werden und die Kette muss nicht mühsam per Hand einzeln gehoben oder gesenkt werden. Das Weben verlief so ungleich schneller. Die Konstruktion des horizontalen Webstuhls blieb bis in die Gegenwart erhalten, einzig die Erfindung der „fliegenden Schützen“ im Jahr 1733, mit denen die Schiffchen mit einem Schlitten beschleunigt und durch die offenen Webfächer geschossen wurden, verdreifachte die Webleistung noch einmal.
Webgewichte wie das hier vorgestellte stammen aus frühmittelalterlichen Siedlungen. Bisher ist unklar, ob die Entwicklung der norddeutschen Webgewichte ähnlich oder parallel zu jener in Süddeutschland verläuft, da aber die Formen und vor allem Gewichtsveränderungen an technologische Entwicklungen geknüpft sein dürften, ist dies wahrscheinlich. Uwe Gross konnte für Süddeutschland nachweisen, dass zunächst unterschiedliche Webgewichtformen wie Pyramiden- und Kegelstümpfe sowie Ringe genutzt wurden, während sich mit dem Frühmittelalter runde Webgewichte durchsetzten. Weiterhin waren eine Zunahme der Größe und eine zunehmende Stärke von der Scheibenform zur Walzen-/Kugelform und somit des Gewichtes festzustellen. Das absolute Ende der Webgewichte ist mit dem Ende der stehenden Webstühle um 1200 gekommen. Aufgrund der etwas zeitverzögerten Veränderungen in Norddeutschland ist wohl von einer Datierung der großen schweren Gewichte in das Frühmittelalter zwischen dem 8. Jahrhundert und um 1000 auszugehen.
Das Weben von Tuch war nicht nur eine Frage der Selbstversorgung, bereits ab dem 8. Jahrhundert wurde das Friesische Tuch/Manteltuch berühmt, es wird namentlich in den Schriften der Karolingerzeit genannt. So stellt sich die Frage: Was ist Friesisches Tuch, was macht es aus? Hinweise auf die unterschiedlichen Produktionsschritte der Tuchproduktion finden sich in zahlreichen Ausgrabungen. Einen Ansatz, diese Frage zu beantworten, liefern Annette Siegmüller und Christina Peek. Die Besonderheit der Stoffe könnte durch die überdurchschnittliche Qualität, besondere Ornamentik durch aufwendige Bindungen und weitere speziellen Eigenschaften gegeben gewesen sein. Für die „Friesischen Tuche“ nehmen beide Bearbeiterinnen weiterhin besondere Festigkeit und Glanz, vor allem aber hohe Funktionalität in Form von Strapazierfähigkeit oder Feuchtigkeitsresistenz an. Alles Faktoren, die besonders bei Mänteln zum Tragen kommen. Nicht nur der Herstellungsprozess aus der Wolle spielt hier eine Rolle, auch das Klima an der See bewirkt eine besonders geeignete Wollqualität. Eine derartige Verknüpfung von Herstellung, Herstellungsort und Qualität findet sich z.B. heute noch beim englischen Harris-Tweed.
(Text: Sonja König)
Literatur:
Uwe Gross, Zu den runden Webgewichten des frühen und hohen Mittelalters. Archäologische Informationen 15, 1992, 1&2 56–62.
Christina Peek, Frühgeschichtliche Textilien aus der Marsch. Untersuchungen zur Produktion und Distribution am Beispiel der Gewebe von der Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven. Siedlungs- und Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 43, 2020, 45–133.
Annette Siegmüller und Christina Peek, Herstellung, Handel und Transport von friesischen Tuchen. Befunde und Funde aus der frühmittelalterlichen Wurt Hessens, Wilhelmshaven. Archäologische Informationen 31, 2008, 45–54.